+++ Merkels Vorstoß war kein Betriebsunfall, sondern Ergebnis langer Überlegungen +++

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News-Service: Bundestagswahl 2017
"Ehe für alle"
Merkels Vorstoß war kein Betriebsunfall, sondern Ergebnis langer Überlegungen

War es ein Betriebsunfall, dass Angela Merkel in einer Talkshow am Montagabend die Öffentlichkeit mit der Überlegung überraschte, die Abstimmung über die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare freizugeben? Sicher nicht.

Erstens ist Merkel zu sehr Profi, als dass sie sich verplappern würde. Zweitens aber standen hinter der vermeintlich spontanen Äußerung lange Gespräche.

Schritt 1: Gespräch von Merkel mit Seehofer

Die Gespräche führte Merkel unter anderem mit CSU-Chef Horst Seehofer. Zusammen mit einigen Vertrauten hatten die beiden Parteivorsitzenden am vergangenen Wochenende über das gemeinsame Regierungsprogramm diskutiert. Dabei war man sich nach Informationen von FOCUS Online einig, dass eine Formulierung gefunden werden musste, mit der man bei dem Thema „Ehe für alle" durch den Wahlkampf kommen könnte.

Denn nachdem SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wie auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner in den vergangenen Tagen erklärt hatten, keinen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, in dem die Gleichstellung homosexueller Paare mit Eheleuten nicht festgeschrieben wäre, war klar, dass damit in den nächsten Wochen Stimmung gemacht würde. Aus der Überlegung heraus, dass man nach der Bundestagswahl ohnehin an einer Änderung der bisherigen Position nicht vorbeikäme, war die Idee entstanden, „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung" zu gehen, wie Merkel es dann formulierte.

Schritt 2: Merkel lässt ersten Testballon steigen

Am Sonntagabend erläuterte die Kanzlerin und Parteivorsitzende diese Überlegungen dem CDU-Präsidium. Hier gab es eine längere Diskussion zu dem Thema, aber offenbar keinen vehementen Widerspruch.

Schritt 3: Merkel lässt zweiten Testballon steigen

Einen weiteren Testballon ließ Merkel dann am Montagmittag steigen. Sie war zu Gast beim Kardinal-Höffner-Kreis im Bundestag, einem Zusammenschluss christlicher Parlamentarier der Unionsfraktion sowie Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft. Auf eine konkrete Frage der CDU-Abgeordneten Claudia Lücking-Michel nach der „Ehe für alle", antwortete Merkel nach Informationen von Teilnehmern, dass sie persönlich mit diesem Begriff große Probleme habe. Die gesellschaftliche Realität sehe aber anders aus, und auch in der politischen Landschaft lasse sich die bisherige Unions-Position nicht halten. Auch hier trug sie dann die Idee von der Gewissensentscheidung vor – und erntete ebenfalls keinen Widerspruch. Unklar bleibt, ob die Teilnehmer der Runde die Tragweite der Äußerung in diesem Moment nicht erfassten oder ob sie die Überlegungen als Zukunftsmusik einstuften, auf die aktuell keine Reaktionen notwendig seien.

Schritt 4: Merkel spricht bei "Brigitte"-Talk

Am Montagabend dann ging Merkel in die Talkshow der Zeitschrift „Brigitte" und mit ihrer Bemerkung dort setzte sich die Polit-Maschinerie in Gang, maßgeblich befeuert von der SPD.

Die Folgen der Entscheidung

Aus taktischer Sicht hält man es in der Union nun für sinnvoll, wenn der Bundestag am Freitag zu dem Thema entscheidet und das Kapitel damit abgehakt ist. Der Vorwurf, man hätte warten sollen, bis die laufende letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause vorüber war, so dass es nun nicht zu einer hastig auf die Tagesordnung gesetzten Abstimmung komme, wird in der Unionsführung zurückgewiesen. Hätte man den Punkt jetzt nicht abgeräumt, hätte er die Meldungen über das Regierungsprogramm überlagert, das Merkel und Seehofer am kommenden Montag vorstellen wollen. Dort will man mit anderen Botschaften durchdringen, etwa mit umfangreicher finanzieller Hilfe für Familien und Steuererleichterungen.

Dass durch den Kursschwenk konservative Unionsanhänger verprellt werden können, wird durchaus als Gefahr gesehen. Allerdings setzt die Unionsführung darauf, den Vorwurf, wieder einmal sei ein Kernelement der CDU-Politik über Bord geworfen worden, damit entkräften zu können, dass es parlamentarisch für diese Haltung keine Mehrheit mehr gebe. Immerhin sieht man jetzt einen positiven Effekt: SPD, Grüne und Linke hatten gemeinsam darauf gedrungen, die „Ehe für alle" noch in dieser Woche auf die Tagesordnung zu setzten. Das bietet sich im Wahlkampf als Warnung vor Rot-Rot-Grün geradezu an.

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