Wie reibungslos läuft der Abgas-Rückruf bei VW ab? Bereits im Sommer 2016 berichteten vereinzelte Kunden nach dem Software-Update in der Werkstatt über Probleme wie ruckelnde Motoren oder Mehrverbrauch . Viele andere zeigten sich dagegen mit dem Update zufrieden und meldeten bislang keinerlei Probleme.
Die Anwaltskanzlei Rogert & Ulbrich aus Düsseldorf vertritt nach eigenen Angaben rund 50 Mandanten, die über massive Probleme nach dem Update berichten. "Das Softwareupdate wird mit oder ohne Einwilligung im Rahmen eines Werkstattaufenthalts aufgespielt und innerhalb eines Zeitfensters von meist nur bis zu drei Wochen stellen sich bereits die Schäden ein. Die meisten bleiben einfach nur liegen oder die Motorkontrollleuchte geht an", so Rechtsanwalt Tobias Ulbrich zu FOCUS Online. Es gebe Versottungsschäden: Das Abgasrückführungsventil (AGR-Ventil) werde mit Ruß zugesetzt.
VW repariert Schäden auf Kulanz
VW habe sich in allen 50 Fällen allerdings kulant gezeigt: "Die Volkswagen AG hat aus Kulanz den Kühler mit AGR – Ventil ausgetauscht. Kosten im Durchschnitt: 1100 Euro", so Ulbrich.
Ulbrich sieht folgende Erklärung als wahrscheinlich an: "Das Abgasrückführungsventil wird im Rahmen des Softwareupdates so angesteuert, dass mehr abgekühlte Abgase zurück in den Motorraum geführt werden. Dort muss das neue Gemisch verbrannt werden. Dazu bedarf es einer größeren Sprit-Zuführung, weshalb der Verbrauch immer steigen wird und es muss mehr Sauerstoff in das Gemisch gelangen, weshalb es auch beim 1,6 TDI-Motor einer baulichen Änderung bedarf. Dieses neue Gemisch wird vom Zündzeitpunkt her später gezündet als vorher, weshalb auch viele Kunden ein Ruckeln oder verzögertes Ansprechverhalten wahrnehmen, bis irgendetwas passiert. Das neue Gemisch verbrennt kühler und die Stickstoffdioxidwerte sinken deutlich. Der Nachteil ist exorbitanter Rußanstieg als Folge des neuen Verbrennungsgemisches", so Ulbrich.
Das passiert beim Motor-Update
Dass nach dem Software-Update grundsätzlich die Rate der Abgas-Rückführung im normalen Betrieb erhöht wird (die jahrelang eingesetzte Manipulations-Software verhinderte genau das) und dass es eine zusätzliche Nacheinspritzung gibt, hat VW bereits vor mehr als einem Jahr mitgeteilt . Da auch bei den 1.6 TDI und 2.0 TDI-Aggregaten nicht jede Motorvariante wie die andere ist, mussten für diverse VW-Modelle auch diverse Software-Modifikationen entwickelt (und vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt) werden. Die Rede ist von 1000 verschiedenen Adaptierungen.
Die Ingenieure griffen dabei auf Techniken der neuen EU6-Dieselmotorgeneration zurück (EA288), um der Wechselwirkung zwischen dem innermotorischen Ruß-Problem und dem Stickoxid-Ausstoß (je mehr Ruß, desto weniger NOx und umgekehrt) zu begegnen. "Unter Optimierung des betriebspunktabhängigen Einspritzdruckes und der Abgasrückführrate kommt es in der Teillast zu einer zusätzlichen angelagerten Nacheinspritzung. Durch diese Strategie kann die emittierte Rußmasse ohne NOx-Nachteil gesenkt werden, was zu einer Verbesserung der NOx-Partikel-Trade-off-Kurve führt", sagte VW-Sprecher Nicolai Laude.
Das sagt Volkswagen zu den aktuellen Problemfällen
Auf Anfrage von FOCUS Online teilt Volkswagen zu den aktuell berichteten Fällen Folgendes mit:
- Die technischen Lösungen (Software-Update) bei Dieselfahrzeugen mit Motoren des Typs EA189, die im Rahmen des Rückrufs umgesetzt werden, hätten keinen negativen Einfluss auf die Funktion und Wirkungsweise des AGR-Systems.
- Im Falle von Beanstandungen würden die technischen Ursachen in Abstimmung mit den Service-Ansprechpartnern in den betreuenden Handelsbetrieben in jedem Einzelfall untersucht, analysiert und bewertet. "In diesen Einzelfällen wird jeweils individuell über eine entsprechende kundenorientierte Lösung entschieden", so VW-Sprecher Nicolai Laude. Diese Aussagen decken sich mit Aussagen, die VW-Kunden gegenüber FOCUS Online getätigt haben. Zum Teil ist von einer "Task Force" aus Wolfsburg die Rede, die bei Problemen angerufen werde oder sogar in den Werkstätten auftauche.
- VW gab am Donnerstag zudem eine offizielle Pressemitteilung folgenden Wortlauts heraus: "Bisherige Rückmeldungen zeigen, dass die Servicemaßnahmen reibungslos verlaufen und die ganz überwiegende Mehrzahl der Kunden mit der technischen Lösung zufrieden ist. Von bislang mehr als 20.000 zu dem Software-Update befragten Kunden wurde für diese Serviceleistung die Gesamtnote 1,5 – entsprechend einer Schulnotenbewertung von 1 bis 5 - vergeben", so der Autokonzern.
"Verrußung kann nicht kurzfristig entstehen"
FOCUS Online hat auch bei Deutschlands größter Autofahrer-Community Motor-Talk nachgefragt. Dort gibt es zwar ebenfalls Berichte über AGR-Probleme bei Rückruf-Fahrzeugen - allerdings nicht in großer Zahl. Denkbar sei zudem, dass bei einigen Fällen der Defekt am AGR-Ventil schon vor dem Update aufgetreten sei.
VW-Sprecher Nicolai Laude vermutet gegenüber FOCUS Online Ähnliches: "Die Beanstandungen im Zusammenhang mit dem AGR-System (wie z.B. Defekte des AGR-Ventils) traten auch bereits in der Vergangenheit vereinzelt und unabhängig von der Umrüstung der Fahrzeuge mit EA189-Motoren auf. Ein Grund für die Defekte ist die Verrußung oder Versottung des AGR-Ventils / des Stellmechanismus'. Eine Verrußung / Versottung kann nicht kurzfristig entstehen, sondern ist erst im Zeitverlauf und in Folge einer längeren Nutzungsdauer der betroffenen Fahrzeuge in Einzelfällen zu beobachten", so Laude.
Bayerns Polizei wartet mit dem Rückruf
Einige Rechtsexperten empfehlen trotzdem, das Software-Update am Fahrzeug vorerst nicht durchführen zu lassen. Für Schlagzeilen hatte letzte Woche die Entscheidung der Polizei Bayern gesorgt, rund 500 VW-Streifenwagen vorerst nicht in die Werkstatt zu schicken , bis offene Fragen geklärt seien.
Die beste Möglichkeit für VW, den Rückruf wie geplant bis Ostern unter Dach und Fach zu bringen , dürfte ein weiterhin kulantes Verhalten bei auftretenden Problemen sein. Eine spezielle Garantie für das Software-Update lehnt Volkswagen bislang ab.