Bisher kannten allein Hunde und deren Besitzer das Hinweisschild „wir müssen leider draußen bleiben". Stuttgart ist die erste deutsche Stadt, die dem allergrößten Teil der Dieselfahrzeuge zukünftig die Einfahrt in die Innenstadt versagen will. Alle Dieselmodelle, die die seit Ende 2015 gültige Schadstoffnorm Euro 6 nicht schaffen, sollen ab Anfang 2018 zu Feinstaubzeiten nicht mehr nach Stuttgart einfahren dürfen - 2016 waren das immerhin bereits 59 Tage im Jahr.
Vier Milliarden Wertverlust über Nacht
Wer als Pendler auf sein Auto angewiesen ist, braucht künftig also ein Euro 6-Auto. Alle anderen Modelle könnten nun rapide an Wert verlieren, befürchtet der Kfz-Handel. Als "Worst Case"-Szenario werden 20 Prozent Wertverlust genannt. Nur um einmal eine Größenordnung zu bekommen: Die erste konkrete Entscheidung für Diesel-Fahrverbote hat, wenn man bei sechs Millionen Gebrauchtwagen pro Jahr mit 33 Prozent Diesel-Anteil und dem Gesamt-Durchschnittspreis von 10.620 Euro (Zahlen von DAT aus dem Jahr 2015) einmal ganz grob rechnet, quasi über Nacht mehr als vier Millarden Euro an Fahrzeug-Wert vernichtet. Wer seinen alten Diesel in Zahlung geben will, hat ganz schlechte Verkaufsargumente."Wir werden entsprechende Kundenfahrzeuge jetzt restriktiver in Zahlung nehmen müssen", sagt zum Beispiel Marcus Stein, Geschäftsführer der Stuttgarter Staiger-Autohandels-Gruppe. Nach Aussagen der Stadt Stuttgart liegt der innerstädtische Diesel-Anteil bei rund 50 Prozent. Nicht alle werden sich bis zum Jahresende 2017 ein neues Auto kaufen wollen oder können.
Elektro, Benzin, neuer Diesel - welche Alternativen gibt es?
Andere Städten könnten der schwäbischen Androhung zeitnah folgen. Wer sich kein neues Auto kaufen will, dem bleiben wenige stimmungsvolle Möglichkeiten. Er macht entweder einen Bogen um die Stuttgarter Innenstadt, wenn er dort nicht wohnt oder bedient sich bald öffentlicher Verkehrsmittel. Die sind im Stuttgarter Kessel bekanntlich etwas suboptimal organisiert.
Bei den Autofahrern stehen die Diesel spätestens seit den frühen 90er Jahren hoch im Kurs. Die der TDI-Welle des Volkswagen-Konzerns, sowie zunehmend dynamischen Selbstzündern von BMW oder Mercedes legten die Dieselmotoren von einst ihr Wanderdünen-Image ab. Wer sich 2010, 2012 oder sogar noch 2015 einen nach seiner Meinung aktuelles Fahrzeug mit hochmodernem Dieselmotor gekauft hat, schaut ab 2018 wohl in die Röhre. Doch was kann man tun, wenn man weiter ein eigenes Auto braucht und Alternativen wie Bus und Bahn, Fahrrad oder Carsharing nicht infrage kommen?
Möglichkeit 1: Neuer Diesel - mit Restrisiko
Wer sich ein neues Auto anschaffen will, ist auf der sicheren Seite. Seit September 2015 erfüllen ja alle Diesel-Neufahrzeuge die Abgasnorm Euro 6 b. Wer sich einen Diesel als Gebrauchtwagen kaufen will, muss daher darauf achten, dass dieser die strenge Abgasnorm erfüllt. In den meisten Fällen wird dies jedoch nur von Autos ab dem Modelljahr 2016 erreicht. Diese Fahrzeuge sind jedoch gerade einmal sechs bis 15 Monate alt und entsprechend teuer. Zudem ist nicht komplett auszuschließen, dass es irgendwann einmal ein komplettes Diesel-Verbot gibt - Städte wie Paris bereiten dies bereits vor . Diese Perspektive ist eher langfristig, dürfte also in den kommenden Jahren noch nicht eintreten. Sicherheitshalber sollte man neue Dieselfahrzeuge ggf. eher leasen als kaufen.
Möglichkeit 2: Benziner - mit Restrisiko
Für Besitzer von älteren Dieselfahrzeugen bleibt allein die Möglichkeit, auf ein Auto mit Benzinmotor umzusteigen. Diese sind aktuell nicht von der Feinstaubdiskussion betroffen und daher ist man zumindest zunächst einmal auf der sicheren Seite - wobei das Thema Partikel-Emissionen beim Benzin-Direkteinspritzer die nächste "Öko-Zeitbombe" sein könnte . Autohersteller rüsten künftig viele Benziner-Neuwagen mit Partikelfiltern aus. Es bleibt das Rest-Risiko, das nicht mit Filtern ausgerüstete - oder nicht nachrüstbare - ältere Benziner künftig ebenfalls auf die Abschussliste geraten. Dass Autofahrer keine Rechtssicherheit genießen, zeigt das Stuttgarter Beispiel ja sehr eindrucksvoll. Hier bleibt nur zu hoffen, dass die Politik die gesellschaftlichen Folgen solcher Entscheidungen im Blick hat.
Für Kleinwagen lohnt Diesel kaum noch
Gerade bei Kleinwagen lohnen die Dieselmotoren ohnehin kaum. Die Fahrzeuge der Liga aus VW Up / Polo, Ford Fiesta / Ka, Peugeot 108 / 208, Kia Piccanto / Rio oder ähnliche Modelle rechnen sich oftmals ohnehin nicht mit einem Dieselmotor, der teurer als ein vergleichbarer Benziner ist. Die Benzinmotoren sind in den vergangenen Jahren gerade durch Turboaufladungen zumindest auf dem Papier deutlich effizienter geworden. Ein Diesel lohnt daher ohnehin nur bei entsprechender Fahrzeuggröße und einer entsprechenden Jahreslaufleistung, die selten unter 20.000 / 25.000 km liegt.
Kompaktklasse: Viele Benzin-Alternativen
Wer in der Kompaktklasse einen Gebrauchtwagen sucht, dem dürfte der Umstieg auf einen Benziner vergleichsweise leichtfallen. Einige Beispiele:
- Wer bisher in einem Audi A3 1.6 TDI mit 105 PS (Baujahr 2011 / ca. 10.000 Euro) unterwegs war, bekommt für das gleiche oder gar etwas weniger Geld einen nahezu gleichstarken Benziner mit 102 PS oder gar den moderneren A3 1.4 TFSI mit 125 PS.
Kaum anders sieht es bei Ford Focus, VW Golf oder Opel Astra aus. Ein Ford Focus Turnier 1.6 TDCi mit 109 PS (Baujahr 2010 / ca. 7.500 Euro) lässt sich schnell durch einen sogar etwas günstigeren 1,6-Liter-Benziner ersetzen.
Ohne Diesel-Problem: Ford Mustang V8 im Test
Mittelklasse und SUV: Diesel kaum zu schlagen
Schmerzhafter sieht es bei den Limousinen, Kombis und SUV / Geländewagen ab der Mittelklasse aus. Hier galten Fahrzeuge mit Benzinmotor bisher abgesehen von leistungsstarken Sportversionen als beinahe unverkäuflich.
- Wer zu VW Passat, BMW 3er, Audi A6, Mercedes M-Klasse, Opel Insignia oder Kia Sorento griff, der wählte in den allermeisten Fällen einen ebenso drehmomentstarken wie effizienten Dieselmotor. Nicht selten werden für Firma, Familie oder Urlaub pro Jahr mehr als 30.000 Kilometer zurückgelegt. Da rechnet sich der Diesel bei jeder Fahrt.
- Unwahrscheinlich, dass sich Fahrer eines BMW 320d (184 PS) ohne Bauchschmerzen in den deutlich zahnloseren BMW 320i (ebenfalls 184 PS) vergucken, der aus dem Baujahr 2012 ebenso rund 18.000 Euro kostet, wenn er rund 50.000 Kilometer gelaufen hat.
Je größer das Auto, desto mehr geht die Schere bei der Symbiose aus Verbrauch und Leistung auseinander. Verbraucht ein VW Touareg mit V8-Benziner pro 100 Kilometern in der Realität rund 15 bis 18 Liter, begnügt sich der drehmomentstarke 3.0 TDI-V6 mit rund zehn Litern. Viele der Fahrer von SUV, Ober- und Luxuslimousinen werden sich daher kaum für Benziner erwärmen kostet. Ihnen bleibt nur die Möglichkeit, sich ein neues oder sehr junges Gebrauchtauto zu kaufen - oder nach dem Weihnachtsgeschäft 2017 einen Bogen um Städte wie Stuttgart zu machen.
Möglichkeit 3: Hybride und Elektroautos
Bei der Gesamtkosten-Rechnung schneiden Hybridfahrzeuge gut ab . Die Auswahl wird zudem immer größer und die Praxistauglichkeit steigt. Selbst beim Preis sind Hybride oder Plug-In-Hybride nicht mehr weit von vergleichbaren Diesel-Modelle entfernt. Reine Elektroautos dagegen sind derzeit für viele Käufer wegen der hohen Preise und der mangelnden Reichweite noch keine Alternative, was sich auch an der kaum nachgefragten Elektro-Prämie ablesen lässt.
Die Diesel-Alternative: VW Passat GTE