Der Ziegenkäsestrudel mit Ratatouille ist gerade serviert. Kanzleramtsminister Peter Altmaier hat sich nur diese kleine Vorspeise bestellt („Fastenzeit . . . Sie wissen: Ich bin der einzige katholische Minister der CDU im Kabinett"). Doch bevor das FOCUS-Arbeitsessen mit Altmaier im Berliner Restaurant „Paris-Moskau" beginnen kann, wird er unterbrochen: Die Kanzlerin meldet sich, es ist dringend. Altmaier steht auf, verlässt zum Telefonieren den Raum.
Kanzleramtsminister, Flüchtlingskoordinator - und jetzt auch Wahlkampfmanager der CDU: Peter Altmaier ist zweifelsohne Angela Merkels wichtigster Mann.
FOCUS: Angela Merkel hat Sie schon oft kurzfristig als Retter herbeigerufen . . .
Peter Altmaier: Es gibt Schlimmeres, oder? Angesichts der deutlich besseren Umfragen geht es übrigens weniger um Rettung als um Zukunftsgestaltung!
FOCUS: Sind Sie so gut, oder sind die anderen in Ihrer Partei einfach zu schlecht?
Altmaier: In der CDU gibt es viele gute Leute. Angela Merkel als Kanzlerin, aber zum Beispiel auch Wolfgang Schäuble, Volker Kauder, Ursula von der Leyen, Thomas de Maizière. Peter Tauber ist ein sehr erfolgreicher Generalsekretär. Aber einer muss ja das Programm schreiben, und ich habe die Aufgabe gerne übernommen.
FOCUS: Politiker von SPD und FDP fordern Ihren Rücktritt, weil sie eine unzulässige Vermischung von Partei- und Regierungsarbeit sehen. Können Sie Minister bleiben?
Altmaier: Die aufgescheuchten Reaktionen haben mich sehr gefreut, denn sie zeigen, wie groß die Verunsicherung und der Respekt vor meiner Person beim politischen Gegner sind. Juristisch ist es übrigens genau umgekehrt: Es ist jahrzehntelange Staatspraxis, dass Kanzler und Minister auch Verantwortung in ihren Parteien übernehmen. Denken Sie zum Beispiel an Sigmar Gabriel, der jahrelang SPD-Chef, Vizekanzler und Wirtschaftsminister war. Man muss allerdings sicherstellen, dass Staats- und Parteiaufgaben nicht vermengt werden, also beispielsweise kein Wahlaufruf mit dem Briefkopf des Ministeriums. Das habe ich immer getan, und so wird es bleiben.
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FOCUS: Haben Sie wirklich noch Zeit, das Wahlprogramm zu schreiben?
Altmaier: Ein Regierungsprogramm entsteht in Teamarbeit. Mir helfen meine langjährige Erfahrung in ganz unterschiedlichen Politikbereichen und Zehntausende von Begegnungen und Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, zu denen ich in den letzten Jahren Gelegenheit hatte. Spannende neue Herausforderungen spornen mich an. Und zum Glück brauche ich nicht ganz so viel Schlaf: Fünf Stunden reichen in der Regel aus, wenn ich am Wochenende dann auch mal ausschlafen kann.
FOCUS: Dann verraten Sie uns doch mal: Mit welchen Forderungen zieht die CDU in den Wahlkampf?
Altmaier: Die CDU wird um die Mitte der Gesellschaft kämpfen: mit deutlichem Schwerpunkt auf jungen Familien mit Kindern, aber auch auf Facharbeitern, Handwerkern, Mittelständlern, Angestellten und Beamten. Ältere und Renter sind uns ebenfalls wichtig, sowohl diejenigen, die noch fit sind wie 'n Turnschuh, als auch diejenigen, die Unterstützung benötigen.
FOCUS: Was genau wollen Sie für Familien mit Kindern tun?
Altmaier: Familien mit Kindern sind das Fundament unserer Gesellschaft. Wir müssen Eltern die Möglichkeit geben, Beruf und Familie zu verbinden. Staatliche Unterstützung kann Familien den Erwerb von Wohneigentum erleichtern. Auch auf Fragen der Betreuung und der frühkindlichen Bildung werden wir im Wahlprogramm Antworten geben. Und wir wissen: Dafür müssen wir auch die finanziellen Rahmenbedingungen schaffen.
FOCUS: Was ist mit der Wirtschaft?
Altmaier: Die digitale Infrastruktur entscheidet über unsere Zukunftsfähigkeit. Ein gutes Straßen-, Schienen- und Stromnetz sind unverzichtbar für Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen. Um Deutschland als modernen Automobilstandort zu erhalten, wollen wir Forschung und Entwicklung stärken. Und: Das Thema Sicherheit ist bei der Union gut aufgehoben.
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FOCUS: Die CDU stellt seit zwölf Jahren die Kanzlerin. Warum haben Sie vieles von dem, was Sie jetzt fordern, nicht schon umgesetzt?
Altmaier: Seit Angela Merkel regiert, hat sich Deutschland fast überall zum Guten entwickelt. Die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter geschlossen. Wir haben Rekordbeschäftigung, die Arbeitslosigkeit ist auf 26-Jahres-Tief, die Renten sind überdurchschnittlich gestiegen.
FOCUS:. . . und die Steuer- und Abgabenlast der Bundesbürger ist die zweithöchste in Europa!
Altmaier: Es ist unser Ziel, dass die Steuer- und Abgabenquote nicht steigen. Wir werden in den nächsten vier Jahren weiter Steuern senken, beispielsweise bei kleinen und mittleren Einkommen. Aber die Bürger möchten auch, dass der Staat ausreichend in Infrastruktur und neue Arbeitsplätze investiert. Wie wir diese Aufgaben untereinander gewichten, werden wir in den nächsten Wochen diskutieren.
FOCUS: Kommt der Parteitagsbeschluss zur Beschränkung des Doppelpasses auch ins Wahlprogramm?
Altmaier: Das wird nicht von mir alleine entschieden, sondern vom Vorstand meiner Partei. Die Herausforderung, die im Gelingen von Integration liegt, geht weit über diesen einen Aspekt hinaus.
FOCUS: Was ist Ihnen lieber: eine Wiederauflage der großen Koalition oder ein Bündnis mit FDP und Grünen?
Altmaier: Wir werden nach dem Wahltag sehen, mit wem es die größten Übereinstimmungen gibt. Entscheidend ist für mich, dass die CDU als deutlich stärkste politische Kraft aus der Bundestagswahl hervorgeht. Wir sind von unserer ganzen Einstellung her eine Gestaltungs- und nicht eine Oppositionspartei.
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FOCUS: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will es Arbeitnehmern erleichtern, von Teilzeit wieder in Vollzeit zurückzukehren. Wird das noch was in dieser Wahlperiode?
Altmaier: Frau Nahles und ich sind darüber mit den Sozialpartnern im Gespräch. Ich halte eine Einigung auf einen vernünftigen Einstieg mit schrittweiser Verbesserung für wünschenswert, denn die Frage, wie man Beruf und Familie vernünftig unter einen Hut bringen kann, gehört zu den wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahre.
FOCUS: Sie twittern wieder verstärkt nachts. Können Sie wegen der düsteren Weltlage nicht mehr durchschlafen?
Altmaier: Nein. In der Regel schlafe ich gut, wenn auch eher kurz. Es kann aber sein, dass ich auf meinem Handy, wenn ich mal aufwache, einen interessanten Tweet entdecke, auf den ich antworte. Danach schlafe ich sofort wieder ein.
FOCUS: Sind Sie eigentlich sicher, dass der Giftgasangriff in Syrien auf das Konto Baschar al-Assads geht?
Altmaier: Es gibt deutliche Indizien, dass es sich um einen Giftgasangriff handelt, der vom Assad-Regime zu verantworten ist. Darauf deuten alle Umstände und auch der verwendete Flugzeug-Typ hin, der zur syrischen Armee gehört. Das Regime von Herrn Assad trägt auch die Gesamtverantwortung für die Entwicklung der letzten Jahre. Und wir wissen, dass er in der Vergangenheit Giftgas produziert und eingesetzt hat.
FOCUS: Die letzten Jahre waren ein einziger Offenbarungseid der Diplomatie. Kann man einen Diktator wie Assad also nur militärisch stürzen?
Altmaier: Für uns war immer klar, dass wir in der Allianz andere Aufgaben haben als eine militärische Intervention in Syrien. Im Übrigen kann man sich schwer vorstellen, wie in diesem ohnehin zerstörten Land militärische Interventionen mit Bodentruppen etwas Gutes bewirken könnten. Der erste Schritt muss darin bestehen, dass dieser unmenschliche Einsatz von Giftgas aufhört. Diesem Ziel diente ja auch der amerikanische Raketenangriff auf die Luftwaffenbasis, den ich deshalb nachvollziehen kann. Es ging darum, weiteres unendliches Leid durch Giftgas zu verhindern.
FOCUS: Auch die Kanzlerin verwendet in diesem Kontext das Wort „nachvollziehbar". Dass Donald Trumps Entscheidung völkerrechtswidrig war, nimmt die Bundesregierung also einfach hin?
Altmaier: Die Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit ist schwierig. Sie wird von Völkerrechtlern zu diskutieren sein. Aber die Motivation der amerikanischen Regierung war eindeutig: Es ging darum, das Töten unschuldiger Menschen zu stoppen. Dieses Ziel muss auch bei einer völkerrechtlichen Bewertung gewürdigt werden.
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FOCUS: Wie muss es jetzt weitergehen?
Altmaier: Es ist schwer vorstellbar, wie Syrien den Übergang zu einer demokratischen Ordnung mit Assad schaffen will. Alle müssen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Auch Russland. Moskau muss sich bereitfinden, einen Wechsel zu einer demokratischen Regierung in Syrien zu ermöglichen. Herr Assad ist auch deshalb noch im Amt, weil Russland ihn massiv unterstützt hat.
FOCUS: Putin hält seit Jahren schützend seine Hand über Assad. Wo ist der Hebel des Westens, um Moskau zu einer Änderung seiner Haltung zu bewegen?
Altmaier: Russland ist sowohl an dem Konflikt in Syrien als auch in der Ukraine beteiligt. Wir sehen, dass dies erhebliche negative Auswirkungen auf die Entwicklung der russischen Wirtschaft hat. Deshalb haben wir als EU und Westen insgesamt ein Interesse, die Sanktionen so lange fortzuführen, bis die nötigen Fortschritte im Friedensprozess in der Ukraine erreicht sind.
FOCUS: Ist Ihnen mulmig zumute, wenn in solchen Krisenzeiten ein Mann wie Donald Trump an der Spitze der USA steht?
Altmaier: Die neue Regierung hat ihr Verhältnis zur Nato geklärt. Wir wissen, dass die transatlantische Allianz eine gute Perspektive für die nächsten Jahre hat. Donald Trump hat Berater und Minister ernannt, die über ein hohes Maß an Expertise verfügen und sich der Zusammenarbeit in der westlichen Allianz verpflichtet fühlen. Dies wirkt sich wohltuend auf die Kooperation aus.
FOCUS: Trump war noch vor Kurzem gegen einen Regimewechsel in Syrien. Jetzt die Kehrtwende. Wird er als Partner nun berechenbarer?
Altmaier: Ich bin kein Hellseher. Aber wir erleben bei jedem amerikanischen Präsidenten, dass nach dem Amtsantritt eine Orientierungsphase beginnt. Da wird manche Position überprüft angesichts der tatsächlich vorgefundenen Situation - und gegebenenfalls angepasst. Wir bleiben im Gespräch beim Thema Freiheit der Wirtschaft. Denn wir glauben, dass offene Märkte, dass internationaler Wettbewerb im Interesse der Bürger beider Seiten sind - der Amerikaner wie auch der Europäer.
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