+++ „Ich bekam meine Tochter im Wachkoma und lernte sie erst fünf Jahre später kennen“ +++

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News-Service: Gehirn
Carola Thimm erlitt zwei Hirninfarkte
„Ich bekam meine Tochter im Wachkoma und lernte sie erst fünf Jahre später kennen"

Carola Thimm war im fünften Monat schwanger, als in ihrem Kopf ein Blutgefäß platzte. Mit schweren Hirnschäden lag sie im Koma. Im Krankenhaus brachten die Ärzte ihr Baby zur Welt – ohne dass sie davon etwas mitbekam.

In der 31. Schwangerschaftswoche setzten die Wehen ein und meine Tochter musste per Kaiserschnitt geholt werden. Sie kam viel zu früh zur Welt , aber gesund.

Direkt nach der Geburt legte mir die Hebamme mein Kind auf die Brust. Ein intensiver Moment, heißt es ja immer. Ich kann da nicht mitreden. Denn zu diesem Zeitpunkt lag ich schon sechs Wochen lang im Wachkoma. 2004 war das und ich damals 34 Jahre alt.

Aus dem künstlichen Koma kam ich nicht mehr zurück ins richtige Leben

Es war am Pfingstmontag, als mein altes Leben endete. Ich war Nordic Walken, freute mich über das schöne Wetter. Plötzlich spürte ich diesen unfassbaren Schmerz im Kopf. Mir wurde schwarz vor Augen. Was danach passierte, weiß ich aus Erzählungen. Dass Spaziergänger mich nach etwa 20 Minuten fanden und den Notarzt riefen.

In der Klinik stellten die Ärzte fest, dass ein Blutgefäß in meinem Kopf geplatzt und mein Gehirn schwer geschädigt war. Ich hatte zwei Hirninfarkte , innerhalb weniger Tage musste ich mehrfach operiert werden. Der Hirndruck stieg so an, dass die Chirurgen in Kiel Teile meiner Schädelplatte abtragen mussten. Sie versetzten mich in ein künstliches Koma.

Doch aus dem kam ich nicht mehr zurück ins richtige Leben. Als sich mein Zustand auch in der Reha nicht besserte, machten die Ärzte meiner Familie kaum Hoffnung. Zu schwer waren die Schäden. Von meiner Umwelt schien ich nichts mitzubekommen. Ich hatte zwar die Augen geöffnet, doch der Blick war starr. Ich hatte kein Zeitgefühl, bekam aber etwas mit.

Ich lebte mit 39 in einem Altenheim

Ich weiß, dass ich mich immer über die täglichen Besuche meiner Mutter gefreut habe oder wenn die Physiotherapeuten da waren. Sie fuhren mit mir Standfahrrad, um meine Muskeln zu bewegen.

Ich erinnere mich noch daran, dass ich immer dachte, krank zu sein und dass ich schnell gesund werden muss. Vermutlich hat mich diese Idee am Leben gehalten. Das ging fünf Jahre so, ich lebte inzwischen in einem Altenheim in der Nähe meiner Familie. Ich war 39 Jahre alt.

Nachdem meine Medikamente neu eingestellt wurden, begann ich aufzuwachen

Dass das kleine Mädchen, das mich zusammen mit meiner Mutter oft besuchte, meine Tochter war, war mir nicht klar. Ein Zufall brachte schließlich den Umschwung: Nach einem epileptischen Anfall 2009 sorgten die Pfleger dafür, dass ich nochmal untersucht werde. In der Uniklinik Kiel wurden meine Medikamente neu eingestellt. Und das war wie ein Wunder. Kurz darauf konnte ich tatsächlich meine Finger bewegen, konnte meinen Blick gezielt auf etwas richten. Die Ärzte machten Tests und schnell war klar: Ich begann aufzuwachen und ins Leben zurückzukehren.

Ich habe versucht, mein Alter auszurechnen

Es dauerte nur einige Wochen, bis ich wieder gehen konnte. Ich weiß nicht genau, wann ich wieder sprechen konnte, aber ich habe eine Erinnerung, die zeigt, dass es schon nach ein paar Monaten war. Man hatte mich gefragt, wie alt ich bin. Ich wusste es nicht, und hatte versucht, es auszurechnen.

Ich musste lange üben, bis mein Wortschatz wieder da war. Ich habe nie aufgegeben, bis jetzt nicht. Mittlerweile kann ich mich alleine gut versorgen, lebe in einer schönen Wohnung, gehe einkaufen, treffe Freunde, mache viel Sport - fast jeden Tag, ich liebe Zumba.

Es ist wichtig, sich auf die positiven Aspekte des Schicksals zu konzentrieren

In meinen Job als Beamtin im Kieler Sozialministerium kann ich nicht zurück, aber ich bin froh, dass sich vieles noch weiter verbessert. Ich mache täglich Übungen, um mein Gedächtnis zu trainieren.

Natürlich ist es nicht wie früher, ich musste mich auch von vielem verabschieden, darf wegen der Epilepsiegefahr nicht mehr Autofahren, nicht fliegen oder tauchen - das war vor dem Wachkoma meine große Leidenschaft.

„Ich hätte gerne mein Baby im Arm gehalten und gestillt"

Meine Ehe hat die Jahre nicht überstanden , doch mein Exmann und ich verstehen uns. Meine Tochter lebt bei ihrem Vater, ich sehe sie regelmäßig und genieße die Zeit mit ihr. Traurig macht mich, dass ich ihre Geburt und Kindheit nicht aktiv miterlebt habe. Ich hätte so gerne mein Baby im Arm gehalten, gestillt, und im Kinderwagen geschoben.

Die ersten Jahre sind für Mutter und Kind wichtig. Das fehlt mir schon. Ich betrachte diesen Aspekt immer so wenig wie möglich und konzentriere mich auf die vielen positiven Aspekte meines Schicksals.

In ihrem Buch hat Carola Thimms ihre Geschichte festgehalten. Zum Weiterlesen:

Im Video: "Ich lag im Koma, habe jedoch alles mitbekommen": Patientin spricht über ihre Nahtod-Erfahrung

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