Wie viele Boxkämpfe Lennox Lewis und Evander Holyfield in ihrem Leben schon miterlebt haben, wissen sie wohl selbst nicht so genau. Nehmen wir an, es sind sehr viele.
Wenn diese beiden Schwergewichts-Legenden also am Ring aufspringen und mit offenem Mund ihre Handys zücken, um ihre private Mediathek zu bereichern, muss Besonderes passiert sein.
Lewis und Holyfield - für den in Deutschland übertragenden TV-Sender RTL am Ring - wissen sofort, dass diese sechste Runde zwischen Weltmeister Anthony Joshua und Herausforderer Wladimir Klitschko eine historische sein könnte. Die eines der größten Comebacks der Box-Geschichte.
Riesen-Euphorie um Shootingstar Joshua
Der WM-Kampf um die Gürtel der IBF und WBA war ohnehin schon ein sehr spezieller. 90.000 Zuschauer versammeln sich bereits Stunden vor dem ersten Gong in London, Wembley. Der Handel mit Schwarzmarkttickets und Fan-Devotionalien blüht vor den Toren des Stadions, drinnen ist es ohrenbetäubend laut.
Wochen, ja Monate, hatte das Aufeinandertreffen des britischen Shootingstars mit dem langjährigen Dominator die Massen auf der Insel elektrisiert. Entsprechend aufgeladen die Stimmung an diesem Abend in London. Für die große Mehrheit kann der Sieger nur "AJ" sein.
Die Euphorie um Joshua, zuvor in 18 Profikämpfen immer als K.o.-Sieger aus dem Ring gestiegen, droht in jener sechsten Runde jedoch ein jähes Ende zu nehmen. Noch wenige Minuten zuvor, nämlich in Runde fünf, hatte der Lokalmatador Klitschko auf die Bretter geschickt. K.o.-Sieg Nummer 19 schien nur mehr eine Frage der Zeit.
Der letzte Aufwärtshaken ist fürchterlich
Doch dem 41 Jahre alten Ukrainer gelingt ein irrwitziger Konter. Gerade noch angezählt und aus einem Cut am linken Auge blutend, verpasst er Joshua direkt einen Wirkungstreffer. In der sechsten Runde schmettert er seine Rechte dann derart brachial an Joshuas Kinn, dass plötzlich dieser auf dem Boden liegt.
Lewis und Holyfield drücken hektisch auf den Aufnahmeknopf ihres Handys. Im weiten Rund des Wembley-Stadions herrscht eine Mischung aus Ungläubigkeit und blankem Entsetzen.
Es ist der Klimax eines grandiosen Boxkampfes, der in der elften Runde schließlich seinen endgültigen Höhepunkt findet. Gegen die unbändige Schlagkraft Joshuas zieht Klitschko am Ende doch den Kürzeren.
Zweimal muss der 41-Jährige auf die Bretter. Der letzte Aufwärtshaken ist fürchterlich. Ringrichter David Fields aus den USA nimmt ihn 37 Sekunden vor dem Gong aus dem Kampf.
Klitschko hadert spätnachts
"Ich hätte mehr machen können", hadert Klitschko auf der Pressekonferenz spätnachts in den Katakomben. Nach dem Niederschlag setzte er nicht konsequent genug nach. Als Verlierer fühle er sich trotzdem nicht, erklärt er. Anfangs noch erwartungsgemäß ausgebuht, verlässt er den Ring unter großem Beifall.
Über die vertraglich festgelegte Option auf einen Rückkampf will Klitschko nun erstmal nachdenken. Joshua, der sich einmal mehr grundsympathisch präsentiert, erklärt: "Wenn er eine Revanche will, bin ich definitiv bereit dafür. Wladimir hat gezeigt, dass er es noch drauf hat."
Lennox Lewis und Evander Holyfield wären bestimmt auch wieder dabei. Das Handy immer griffbereit.
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